Schein und Sein

„Du, das Aussehen ist nicht so wichtig! Ich würde auch dann nicht mit Dir zusammen sein wollen, wenn du weniger hässlich wärst.“ Wie oft haben die meisten von uns diesen Satz wohl schon gehört. Zehn Cent für jedes Mal dass diese Lüge uns verlegen lächelnd aufgetischt wurde, und wir hätten längst die Kohle für die Schönheitsoperation im Sack. Plus Friseur. Falls das überhaupt noch hilft. Ist ja auch egal, denn es kommt nun mal wirklich nicht aufs Äußere an. Man kann auch depressiv, einsam und abgefuckt sein, wenn man kein kokainsüchtiges Supermodel ist. Geht alles. Erfolgreiche Unzufriedenheit verlangt oft nichts als etwas Kreativität und Mut zum aktiven Pessimismus.

Und auch die unter Attraktivitäts-Magersucht leidenden Hackfressen-Inhaber unserer Gesellschaft haben laut Grundgesetz so etwas wie eine Existenzberechtigung, das lernen wir immer wieder. In Filmen und Serien beispielsweise. Da werden all die lustigen Dicken oder herzensguten Freaks, die sich an der eigenen Schönheit nicht gerade einen Bruch heben können, keineswegs diskriminiert, sondern immer auch irgendwie als Menschen gezeigt und höchstens etwas ausgelacht. Okay, am Ende kriegen die strahlenden Helden und Heldinnen sich doch immer nur gegenseitig und die Nebendarsteller mit geringerer körperlicher Güteklasse paaren sich weiter im inzestuösen Ghetto der optischen Unterschicht, aber c´est la vie. Manchmal allerdings erhält auch das hässliche Entlein überraschenderweise den finalen Begattungszuschlag, doch dann war es in Wirklichkeit gar nicht hässlich, sondern vorher nur zu doof, sich hübsch zu machen.

Dabei gibt sich gerade das Fernsehen in der letzten Zeit sehr viel Mühe, den bekannten Klischees der Äußerlichkeiten entgegenzuwirken. Nehmen wir nur den Fernsehkoch. Der musste fr/uuml;her gemütlich, ältlich und dick sein, eine große weiße Mütze tragen und Mutti gemütlich demonstrieren, wie sie für den Sekt-Empfang zu Papas Beförderung den Käse-Igel mit pfiffigen Wimpeln aufmotzt. Heute sollte er eher jung, freakig und cool sein, mit rasiertem Schädel und dem Charme eines zu Unrecht vorbestraften Panzerknackers. Vielleicht sogar ein bisschen sexy, die Hausfrau von heute darf ruhig mal von einem gepfefferten Quickie auf dem Küchentisch träumen, so zwischen Braten in die Röhre schieben und Mehlschwitze. Oder nehmen wir Gärtner und Handwerker: einst schmierbäuchige, unzuverlässige Blaumann-Zombies mit Bierfahne, die der Dame des Hauses überheblich grinsend zeigten, wo der Hammer hängt und wie man mit seiner Hilfe den Kollegen Nagel eine stabile Symbiose mit der Hauswand eingehen lässt. Heute stöckeln vor allem telegene Blondinen mit massiver Vorbau-Vertäfelung durch die privaten Wohnbaustellen und nageln selber anstatt sich zu lassen. Niemand ist mehr so wie sein Abziehbild aus der Vergangenheit. Volksmusik-Moderatoren erscheinen zunehmend als frisch durchgefönte Gigolo-Zivis denn traditionell als betagt-übergewichtige Trachtenmolche mit Gesichtslähmung. Politiker bemühen sich vermehrt um ein krampfhaft-lässiges Auftreten, das entfernt beinahe an menschliche Wesen erinnert. Sogar lebende Litfasssäulen international erfolgreicher Diätmittel-Konzerne laufen neuerdings herum wie überdreht dauerfröhliche ZDF-Fernsehgarten-Moderatorinnen aus der vorgetäuschten Harmlosigkeits-Hölle. Manche Leute lügen halt bereits, wenn sie einfach nur aussehen.

Quelle: TV Spielfilm - Kalkofes letzte Worte - Verfasser: Oliver Kalkofe


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