Der innere Indianer

Der Indianer in uns will gern in die Wildnis. „Nicht in der Stadt, erst in der Wildnis lernt man den Mann kennen“, lautet ein Sprichwort aus Nigeria, und was in Afrika gilt, das kann so falsch nicht sein. Der moderne Mann freilich ist von der Wildnis so weit entfernt wie Wladimir Putin vom Friedensnobelpreis. Moderne Männer tragen 7/8 - Hosen und rosafarbene Mohairpullunder, weil ihre Frauen das so wollen (bis sie dann irgendwann mit dem Motorradrocker von nebenan durchbrennen). Sinnlos stehen diese Männer in weißen Wohnzimmern herum und haben Sprühkännchen mit Wasser in der Hand, für die Blumen. Der innere Indianer aber schreit nach einem Kanu, nach einem Fluss, nach einem Zelt, nach einer Axt. Der will nicht Wellness, der will Wildnis.

Also packt der moderne Mann das Nötigste für ein Wochenende auf der Aller ein, also das Allernötigste (jahaaa ...): Thermo - Unterwäsche, Leatherman, GPS - Empfänger, Trockennahrung, Dixi - Klo, Haarspray, Mückenspray, Pfefferspray, Anti – Marder – Spray, Anti – Maulwurf – Spray, Wildleder – Pflegespray und das iPhone für die Bundesliga – Ergebnisse. Und ab geht’s auf der Aller, paddeln.

Im Kajak haben der innere Indianer und der moderne Mann dann erst mal Streit, denn der Indianer will gleich los, aber der moderne Mann jammert rum: Es zwackt links, es zwackt rechts, die Sitzbank ist unbequem, das Boot wackelt, es nieselt, das Dixi – Klo passt nicht mit ins Kajak, UMTS – Empfang gibt es auch nicht. Der innere Indianer hört sich das geduldig an, schließlich ist er Indianer. Er singt ein bisschen: „Heja – hamma – hey, hejahamma ...“ und ruft: „Shomani Totanka Owachi!“ - was überstzt so viel heißt wie: „Halt die Klappe, weißer Mann. Dein Gejaule geht Manitu auf die Nüsse.“

Dann fährt man los. Und plötzlich verschwindet der moderne Mann, und der Indianer sitzt ganz allein im Boot. Es geht geradeaus. Der Indianer lächelt. Es geht nach Hause.

Quelle: Hannoversche Allgemeine Zeitung – Verfasser: Imre Grimm


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